Rezension aus der „Yoga aktuell“ Oktober/November-Ausgabe 2023
Leseprobe
Einsame Winterschönheit – der Rötzenfels
Ein lichter Kiefernwald an einem kalten Wintermorgen. Stille, kein Mensch sonst weit und breit, nur das Krächzen eines Kolkraben irgendwo aus der Ferne. Wald und Wege sind frostig angezuckert, der Himmel spannt sich grau und weit. Ein schmales Fenster öffnet sich darin, in dem gestreutes leuchtendes Sonnenblau geschickt die endlose Schwärze eines ebenso endlosen schwarzen Weltalls verbirgt. Ansonsten dräuen Wolken dunkel-tief, sie werden Schnee bringen oder dicken Hagel: die Natur in ihrem Winterkleid – oben auf dem Rötzenfelsen. Manchen gilt er als einer der magischsten Orte der Pfalz, anderen wiederum ist er noch vollkommen unbekannt. Der Rötzenfels befindet sich oberhalb des Dorfes Gossersweiler auf dem 459 Meter hohen Rötzenberg: einem Kegelberg, der neben dem Rötzenfels südlich des Gipfels noch die nördlich gelegenen Isselmannsteine zu bieten hat. Diese für den Wasgau so typischen Felsformationen aus gelbem oder rotem Buntsandstein entstanden durch sich schräg aufstellende Gesteinsschichten während der Bildung des Oberrheingrabens. Ihr Anfang jedoch liegt ganze 250 Millionen Jahre zurück, als heiße Winde in einer damals wüstenähnlichen Landschaft über Jahrmillionen hinweg unzählige Sandkörner zu hohen Türmen zusammentrugen, die sich später verfestigten, dann angehoben wurden und erodierten. An einem Felsenriff wie dem Rötzenfels kann man bestaunen, was von dieser Zeitspanne, die für den menschlichen Geist so unermesslich ist, ganz handfest übriggeblieben ist!
Von seinem Felsplateau aus lässt sich der südliche Wasgau überblicken, mit der Ruine Lindelbrunn im Vordergrund. Bei gutem Wetter sind im Nordosten noch der Rehberg, der Ebersberg und die Reichsburg Trifels mit dem vorgelagerten Asselstein zu sehen. Besonders gern wird der Rötzenfels, laut Statistik, in den Sommermonaten aufgesucht – wobei hier vermutlich die Kletterer zu Buche schlagen –, im Winter hingegen kaum. Dabei ist er auch an einem eisigen Januartag beeindruckend! Anders als im Sommer, wenn die Natur ringsum ihre bunte Üppigkeit präsentiert, wirkt dieser Ort jetzt klar und karg: ein Hauch von „ZEN“. Und wo sonst grün die Wälder rauschen, ist nun grau-braune Eintönigkeit angesagt, vor der sich krumm gewachsene Kiefern wie schwarze Scherenschnitte abheben. Ganz einsam und allein hier oben zu stehen, durch an der Kleidung zerrenden, bitterkalten Wind wie nackt den Naturgewalten ausgesetzt, während es nur einen Schritt seitwärts ungesichert 50 Meter in die Tiefe geht: Das hat schon was! In der Kargheit, fast Bedrohlichkeit dieser Szenerie liegt etwas geradezu Existenzielles, etwas von einer „In-die-Welt-Geworfenheit“. Aber anders als der Philosoph Martin Heidegger diesen von ihm geprägten Begriff verstand – als das ungefragt dem Leben Ausgesetzt-Sein des Menschen –, hat ein jeder, der bei Eiseswind schlotternd auf dem Rötzenfelsen steht, sich dieses Schicksal selbst gewählt! Und doch, und doch: welch überwältigende Grandiosität!